Hinweisgebersysteme

Ist die Verwendung eines Briefkastens zur Umsetzung eines Hinweisgebersystems zulässig?

Mag. Georg H. Jeitler, BA MBA
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Das österreichische HinweisgeberInnenschutzgesetz (HSchG) verpflichtet Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten zur Errichtung interner Meldekanäle. Immer wieder werden wir mit der Frage konfrontiert, ob den Anforderungen des Gesetzes durch einen simplen Melde-Briefkasten Genüge getan werden kann.

Bedacht werden sollte, dass durch ein Meldesystem auf Basis eines Briefkastens Missbrauchsrisken entstehen.

Grauzone Briefkästen für Meldesysteme

Obwohl die Verwendung eines Briefkastens als „Hinweisgebersystem“ auf den ersten Blick eine kostengünstige Lösung zu sein scheint, birgt sie erhebliche Risiken, sowohl für Hinweisgeber:innen, als auch für das Unternehmen. Wir raten daher dringend davon ab, ein Hinweisgebersystem auf Basis eines Briefkastens einzurichten.

Grundsätzlich wird von Expert:innen zumeist die Ansicht vertreten, dass ein Briefkasten-Meldesystem dem Grunde nach zulässig ist. Immer wieder wird jedoch auch betont, dass die sehr strikten Pflichten zum Schutz der Identität und auch die im Gesetz vorgesehenen Notwendigkeiten von Bestätigungen und Benachrichtigungen dazu führen, dass es sich um einen Graubereich handelt und der notwendige Schutz oft nicht gewährleistet werden kann.


Höhere Barriere von Hinweisgaben durch Briefkästen

Da auch digitale Meldesysteme nur geringe Kosten verursachen, sollte das Sparpotenzial bei der Entscheidung pro oder contra Briefkasten nicht im Vordergrund stehen: Das wesentlich größere Kostenrisiko ist eine Hinweisgabe, die nicht im Unternehmen erfolgt – und genau dieses Risiko steigt durch ein Hinweisgebersystem auf Basis eines Briefkastens, da für viele Hinweisgeber:innen eine psychische Barriere geschaffen wird. Oberstes Ziel bei der Einführung eines Hinweisgebersystems sollte sein, Hinweisgaben im Unternehmen zu behalten.

Warum? Die Alternative für Hinweisgeber:innen ist die "externe Stelle" beim Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) – einer Polizeibehörde, die ab Mitte 2023 ein niederschwellig zugängliches digitales Hinweisgebersystem bieten wird. Wird aufgrund einer dort erfolgenden Hinweisgabe ein Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter:innen oder gar das Unternehmen eingeleitet, entstehen in der Regel hohe Anwaltskosten, erhebliche interne Belastungen, es findet möglicherweise sogar eine Hausdurchsuchung statt und es droht im Ernstfall ein langwieriges Verfahren mit Reputationsschäden.

Die physische Abgabe von Hinweisen durch Einwurf in einen Briefkasten führt grundsätzlich zu einer höheren Eintrittsbarriere. Hinweisgeber:innen haben oftmals Bedenken hinsichtlich der Zuverlässigkeit (Wer leert den Briefkasten tatsächlich aus – wirklich der Compliance Officer oder ist es der Empfang? Wie oft wird der Briefkasten geleert? Landet der Brief erst bei der oder dem Vorgesetzten, statt bei der eigentlich zuständigen „internen Stelle“?) und es besteht ein subjektiv wahrgenommenes generelles Risiko rund um die Anonymität.


Risiken rund um Identitätsschutz

Im Falle von Briefkästenvarianten gehen Hinweisgeber:innen Risiken ein und das wahrgenommene Risiko/Nutzen-Verhältnis wird bei diesen meist als ungünstig empfunden: Typische Risken zur Wahrung des Identitätsschutzes für Hinweisgeber:innen können z.B. Videoüberwachung sein (oder es besteht die Sorge, dass eine solche vielleicht nur nicht zu sehen ist), oder ein Zutrittssystem, anhand dessen man den Personenkreis einschränken kann, der z.B. bei einem Einwurf abends das Schließsystem im betreffenden Bereich nutzte. Weitere Risken können der verwendete Typ von Kopierpapier, Kuverts oder von Schreibgeräten sein, eine zuordenbare persönliche Handschrift, technische Hinweise auf einen genutzten Drucker wie z.B. Toner-Streifen bei einem alten Gerät oder – für Expert:innen –  Machine Identification Code, der eindeutig auf den genutzten Drucker hinweist. Auch das Krimi-Wissen, dass Fingerabdrücke von Papier abgenommen werden können, trägt zur subjektiven Unsicherheit bei. Am wesentlichsten ist aber wohl, dass man für die Hinweisgabe einen physischen Akt setzen muss, was für viele eine Hemmschwelle darstellt.


Kein anonymer Rückkanal möglich

Ein in der Abwicklung einer erfolgten Hinweisgabe entstehender Nachteil ist, dass Briefkästen keinen (zumindest keinen anonymen) Rückkanal ermöglichen: Es sind – oftmals wichtige – Rückfragen nicht möglich und auch die gesetzlich erforderlichen Bestätigungen sowie die nach drei Monaten vorgeschriebene Benachrichtigung können nicht vorgenommen werden – was das Risiko erhöht, dass Hinweisgebende unzufrieden sind und sich erst recht an die externe Stelle wenden. Theoretisch besteht hier die Lösungsmöglichkeit, dass Sie anonyme Hinweisgaben nicht erlauben – hiervon ist aber mit Verweis auf die weiterhin bestehende Möglichkeit der anonymen Hinweisgabe bei der „externen Stelle“ ebenfalls klar abzuraten.


Hohes Missbrauchspotenzial für Unternehmen

Ein gänzlich abseits von tatsächlichen Hinweisgaben bestehendes Risiko für Unternehmen ist das Missbrauchspotenzial: Das HSchG sieht ein abgesenktes Beweismaß für Hinweisgeber:innen rund um Vergeltungsmaßnahmen vor. Wird eine Meldemöglichkeit via Briefkasten angeboten, gibt es keine Möglichkeit, eine Bestätigung zu erhalten – und der Grund hierfür ist klar dem Unternehmen zuzurechnen. Eine Hinweisgeberin oder ein Hinweisgeber wird daher lediglich glaubhaft machen müssen, eine Hinweisgabe vorgenommen zu haben, um in Schutz des HSchG zu gelangen. Da der Schutz des Gesetzes zeitlich unbegrenzt wirkt, könnte im Rahmen einer arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung schlicht unter Vorlage einiger geeigneter Dokumente oder privater Korrespondenz aus der Vergangenheit über negative Sachverhalte im Unternehmen behauptet werden, dass eine Hinweisgabe erfolgt ist, diese aber ignoriert wurde. Ohne ein digitales, revisionssicheres Hinweisgebersystem ist es für ein Unternehmen in einem solchen Fall praktisch unmöglich den Nachweis zu führen, dass der behauptete Hinweis niemals eingegangen ist. Aus diesem Grund ist auch davon abzuraten, Briefkästen als zusätzlichen Meldeweg zuzulassen.


Fazit

Von der Nutzung von Briefkästen im Rahmen eines Hinweisgebersystems ist klar abzuraten, auch wenn diese nur einen zusätzlichen Kanal darstellen. Die Kosten eines professionellen digitalen Meldesystems beginnen für die meisten Unternehmen bereits bei EUR 99,– pro Monat und umfassen im Fall unserer Dienstleistung sogar bereits den Gesamtbetrieb des Hinweisgebersystems inkl. Auslagerung der sich aus dem HSchG ergebenden Anforderungen an die „interne Stelle“.

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Bitte beachten Sie, dass dieser Beitrag keine individuelle Rechtsberatung ersetzt und Sachverhalte ggfs. verkürzt oder auf Grundlage derzeitiger Einschätzungen dargestellt werden. Grant Thornton übernimmt keine Haftung für die Vollständigkeit oder Richtigkeit der dargestellten Informationen.