Nach einer lang anhaltenden Niedrigzinsphase erhöhte die Europäische Zentralbank (EZB) im Jahr 2022 erstmals seit mehr als zehn Jahren die Leitzinsen:

  • Am 21.07.2022 hat die EZB beschlossen, die Leitzinssätze um 50 Basispunkte anzuheben. Dementsprechend wurde der Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte mit Wirkung zum 27.07.2022 auf 0,50% erhöht.[1]
  • Bereits am 08.09.2022 hat die EZB eine weitere Zinserhöhung um 75 Basispunkte beschlossen und der Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte wurde ab 14.09.2022 auf 1,25% erhöht.[2]

Aufgabe der EZB ist, stabile Preise zu gewährleisten, indem sie dafür sorgt, dass die Inflation stabil und berechenbar bleibt. Mittelfristig strebt die EZB eine Inflationsrate von 2% an.[3] Weitere Zinserhöhungen sind aufgrund der aktuell außergewöhnlich hohen Inflation im Euroraum nicht ausgeschlossen. Getrieben wird die Inflation laut EZB von stark steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen, dem in einigen Sektoren herrschenden Nachfragedruck infolge der Wiederöffnung der Wirtschaft sowie von Lieferengpässen.[4] Die Erhöhung der Leitzinsen soll dazu dienen, die Kreditnachfrage zu reduzieren und durch gebremsten Konsum die Nachfrage und in weiterer Folge die Preissteigerungen abzuflachen. Gleichzeitig soll der höhere Zinssatz den Euro vor allem gegenüber dem US-Dollar stärken, wodurch unter anderem Energieimporte (die vielfach in US-Dollar gehandelt werden) billiger werden sollen.

Analog dazu ist der für die Ableitung des Diskontierungszinssatzes im Rahmen von Unternehmensbewertungen relevante Basiszinssatz im Laufe des Jahres 2022 stark angestiegen.

Bei Unternehmensbewertungen nach dem österreichischen Fachgutachten KFS/BW 1 setzt sich der Zinssatz für die Diskontierung der finanziellen Überschüsse (Free Cash Flows) nach dem Capital Asset Pricing Model aus dem Zins einer risikolosen Kapitalmarktanlage (Basiszinssatz) und dem marktorientierten Risikozuschlag (Produkt aus Marktrisikoprämie und Beta-Faktor) zusammen.

Der Basiszinssatz ist zukunftsorientiert unter Berücksichtigung der Laufzeitäquivalenz zum zu bewertenden Unternehmen aus der Zinsstruktur deutscher Bundesanleihen (diese werden herangezogen, da in Österreich nur begrenzt Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 30 Jahren und mehr begeben werden) mit Hilfe der Svensson-Formel abzuleiten. Bei unbegrenzter Lebensdauer des zu bewertenden Unternehmens ist vereinfachend die Heranziehung der Spot Rate mit einer Laufzeit von 30 Jahren als Näherung zulässig. Die aus der Zinsstruktur deutscher Bundesanleihen abgeleiteten Spot Rates werden monatlich durch die Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer veröffentlicht.

 

Entwicklung des Basiszinssatzes von Jänner 2011 bis September 2022

Im Zeitraum Jänner 2011 bis September 2022 (letzte aktuell verfügbare Daten) stellt sich der Basiszinssatz sowie der Leitzinssatz der EZB wie folgt dar:

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In 2011 belief sich der Basiszinssatz auf knapp unter 4 %. In den darauffolgenden Jahren sank er bis in den negativen Bereich. Trotz des starken Anstiegs im Laufe des Jahres 2022 ist der Basiszinssatz zum September 2022 mit 2,07 % weit unter dem Basiszins 2011.

 

Entwicklung des Basiszinssatzes von Jänner 2021 bis September 2022

Im Zeitraum Jänner 2021 bis September 2022 stellen sich die Entwicklung des Basiszinssatzes und des Leitzinssatzes der EZB wie folgt dar:

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Im Jänner 2021 belief sich der Basiszinssatz auf -0,05%. Nach leichten Erhöhungen in den Monaten Februar 2021 bis Mai 2021 und September 2021 sank er im November mit -0,07% auf den tiefsten Wert der dargestellten Zeitreihe. Ab November 2021 stieg der Basiszins stark an. Der Aufwärtstrend ab dem Jahr 2022 wurde lediglich im Juli kurz unterbrochen. Die letzten verfügbaren Daten wurden am 04.10.2022 von der KSW veröffentlicht: Im September belief sich der Basiszinssatz auf 2,07%. Dies ist der höchste Wert seit Juli 2014.

Korrespondierend dazu ist der Durchschnitt des Basiszinssatzes der letzten sechs Monate (gleitendes 6-Monatsmittel) im Zeitraum Jänner 2021 bis September 2022 von -0,10% auf 1,46% angestiegen, wobei der stärkste Anstieg ab März zu beobachten ist.

Zusätzlich zu den Auswirkungen der Inflation auf die Planung der finanziellen Überschüsse (Free Cash Flows) sind im Rahmen von Unternehmensbewertungen bei der Ableitung des Diskontierungszinssatzes wieder höhere Basiszinssätze von aktuell rund 2% zu berücksichtigen.

Weitere Zinserhöhungen durch die EZB und damit einhergehende Erhöhungen des Basiszinssatzes sind aufgrund der weiterhin hohen Inflation nicht ausgeschlossen.

Quellen:

[1] ecb.europa.eu/press/pr/date/2022/html/ecb.mp220721~53e5bdd317.de.html
[2] ecb.europa.eu/press/pr/date/2022/html/ecb.mp220908~c1b6839378.de.html
[3] ecb.europa.eu/ecb/tasks/monpol/html/index.de.html
[4] ecb.europa.eu/press/pr/date/2022/html/ecb.mp220908~c1b6839378.de.html